Jetzt handeln und Drogenkrise verhindern
Prof. Dr. Hendrik Streeck: „Wir müssen schneller, systematischer und konsequenter reagieren auf neue, immer gefährlichere Drogen.“
Im Jahr 2024 sind in Deutschland 2.137 Menschen an den Folgen ihres Konsums illegaler Drogen verstorben. Das sind nur 90 Fällen weniger als im Vorjahr und daher weiterhin ein sehr hoher Wert. Darin zeichnet sich ein besorgniserregender Anstieg der Todesfälle bei jungen Konsumierenden unter 30 Jahren von 14 Prozent ab, ein sprunghafter Zuwachs an Todesfällen in Verbindung mit synthetischen Opioiden und Neuen Psychoaktiven Stoffen sowie eine wachsende Zahl von Mischkonsumenten. Die Dynamik auf dem Drogenmarkt nehme gefährlich Fahrt auf, sagte der Beauftragte der Bundesregierung für Sucht- und Drogenfragen Prof. Hendrik Streeck.
„Wir erleben eine quasi pandemische Dynamik, die wir schon kennen: Einzelne Ausbrüche, neue Substanzen, schnelle Verbreitung, lückenhafte Datenlage – und ein System, das zu träge ist, um rechtzeitig zu reagieren“, erklärt Prof. Dr. Hendrik Streeck, Beauftragter der Bundesregierung für Sucht- und Drogenfragen bei der Vorstellung der neuen Drogentotenzahlen im Berliner Vivantes Klinikum „Am Urban“. „Wenn wir nicht aufpassen, verschärft sich diese Entwicklung in wenigen Jahren zu einer Krise mit massiven gesundheitlichen und gesellschaftlichen Folgen.“
Besonders dramatisch sei: Noch nie wurden bei Verstorbenen so viele unterschiedliche Substanzen toxikologisch nachgewiesen wie im vergangenen Jahr. Noch nie war Mischkonsum so prävalent – und noch nie waren synthetische Opioide wie etwa Fentanyl bei so vielen Todesfällen gefunden worden (342 Fälle, rund 16 Prozent). Die Zahl der Todesfälle an denen andere Neue Psychoaktive Stoffe beteiligt waren, stieg um mehr als 70 Prozent auf 154. Dies deckt sich mit internationalen Erkenntnissen – insbesondere in Nordamerika.
„Wir dürfen nicht dieselben Fehler machen wie bei der Pandemie: zu spät Daten erheben, zu spät reagieren, zu lange auf Sicht fahren“, so Streeck. „Wir brauchen ein systematisches, flächendeckendes Monitoring- und Warnsystem, das schnell erkennt, welche Substanzen auf dem Markt zirkulieren und wie ärztliches und sozialdienstliches Personal bestmöglich helfen können.“
Dass in rund der Hälfte der Todesfälle keine toxikologischen Gutachten oder Obduktionen durchgeführt wurden, zeige, so Streeck weiter: „Das Wissen, auf dem unsere politischen und medizinischen Entscheidungen basieren, ist oft lückenhaft. Eine nachhaltige Strategie gegen Drogenkonsum und -sterblichkeit kann es aber nur auf Basis valider Daten geben.“
Auch international schlagen Expertinnen und Experten Alarm: Der aktuelle Weltdrogenbericht geht von 316 Millionen Drogenkonsumierenden weltweit aus – ein historischer Höchststand. In der EU haben 2024 rund 2,7 Millionen junge Erwachsene Kokain konsumiert. Die Verfügbarkeit hoch gefährlicher Drogen steigt rasant, insbesondere über neue Online- und Schmuggelkanäle.
Das Bundesinnenministerium gehe verstärkt gegen die Organisierte Kriminalität vor. Mit internationalen Partnern werden man dem internationalen illegalen Drogenhandel und der dadurch befeuerten Gewalteskalation in Europa gegensteuern. Die Verfügbarkeit illegaler Drogen soll deutlich reduziert werden, unter anderem durch die Eindämmung der Kokainschwemme aus Südamerika und die Bekämpfung der Gefahren, die von den besonders tödlichen Synthetischen Opioiden ausgehen.
Streeck betont: „Um zu verhindern, dass sich die Lage in fünf oder zehn Jahren verselbstständigt, müssen wir gemeinsam handeln – mit klarer politischer Prioritätensetzung. Polizei und Zoll können die Verfügbarkeit eindämmen, aber wir brauchen ebenso dringend eine moderne, professionell ausgestattete Suchthilfe, neue Präventionsformate, niedrigschwellige Angebote und mehr medizinisches Wissen über neue Substanzen. Nur dann können wir das Ruder herumreißen.“